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“DIE EIGENEN LEUTE LASSEN UNS IM STICH“

“DIE EIGENEN LEUTE LASSEN UNS IM STICH“

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“DIE EIGENEN LEUTE LASSEN UNS IM STICH“

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Generell würde der Sport wie auch so viele andere Dinge im Leben nicht funktionieren, wenn es neben den Protagonisten nicht auch Menschen geben würde, die sich im Hintergrund ihr Leben lang dafür aufopfern. Eine dieser Personen heißt Jürgen Pail. Der Steirer gilt in der Mountainbike-Szene als Visionär. Unter anderem ist er Veranstalter der jährlich ausgetragenen MTB-Bewerbe in Stattegg und erschuf das Format der Jugend-Europameisterschaft. Gedanken über das Biken macht er sich fast jede Sekunde. Besucht man ihn auf eine Tasse Kaffee in seinem Büro, so weiß er auch ausführlich darüber zu erzählen. Pail scheut es auch nicht Kritik zu üben und dabei nimmt er sich kein Blatt vor den Mund. Sein Herz schlägt für den Mountainbikesport und umso schmerzlicher ist es für ihn, wenn man diesen mit Füßen tritt.


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Jürgen Pail
Jürgen Pail, Foto: Erwin Haiden
Steckbrief:
 Jürgen Pail
 Geboren am: 14.09.1964
 Wohnort: Graz/ Stattegg
 Beruf: Selbständig(BIKE 09)
 Homepage: www.bike09.at
 Familienstand: Ledig, aber vergeben

„Mein Wunsch an die UCI: Die sollen mich in Ruhe lassen!“

RAD.SPORT.SZENE: „Jürgen, kannst du erzählen wieso du gerade dem Radsport verfallen bist? Es würde doch bestimmt auch andere Dinge geben, für die du dich aufopfern könntest.“

Jürgen Pail: „Als allererstes möchte ich klarstellen: Ich bin nicht dem Radsport verfallen, ich bin dem Mountainbikesport verfallen. Straßenfahrer war ich nie und bin es bis jetzt nicht. Leider erst relativ spät, da es in meiner Jugendzeit noch keine Mountainbikes gab. Ich glaube das erste MTB kam in den 80er Jahren nach Österreich. Wann genau ich zum ersten Mal auf einem Bike saß weiß ich nicht mehr, aber ich war sofort begeistert von diesem Fahrgefühl. Davor war ich lange Zeit Handballer und Schifahrer, also Freeride- Schifahrer, wie man es heute nennen würde.“

RSS: „Wie bist du in Kontakt mit dem Bike-Rennsport gekommen?“

JP: „Ich wollte mich am Anfang am Bike einfach fit halten und habe deswegen für meine Verhältnisse relativ viel trainiert. Irgendwann habe ich dann zusammen mit Kollegen begonnen, an Rennen teilzunehmen, wobei man das nicht mit Rennen-Fahren aus heutiger Sicht vergleichen kann. Also Profi-Fahrer war ich nie. 1997 bin ich dann unter die Veranstalter gegangen. Seitdem habe ich jedes Jahr mindestens ein Rennen veranstaltet.“

RSS: „Als Rennveranstaltern giltst du bis heute als Visionär. Siehst du dich selbst auch als solchen?“

JP: „ Es gibt schon einige Dinge die ich erreicht habe und auf diese ich stolz bin.
Was mich besonders stolz macht ist der Aufbau unseres Vereins in Stattegg, sowie dass ich die Jugend-Europameisterschaft ins Leben gerufen habe, dieses Format bei der UCI durchgebracht habe und es bis jetzt erfolgreich durchführe.
Ein besonderes Highlight für mich und die ganze Umgebung war natürlich auch die Marathon-Weltmeisterschaft 2009. Auch an die große Generalprobe, die Marathon-EM 2003, denke ich gerne zurück.“

RSS: „Man kann heraushören, dass dir die Jugend besonders am Herzen liegt. Wie kommt das?“

JP: „Ich denke einfach dass die Jugend im Sport besonders gefördert werden muss. Vor der WM 2009 haben wir schon überlegt, dass wir unbedingt im Jugendbereich was machen wollen.

MTB Jugend EM Stattegg 2014
MTB Jugend EM Stattegg 2014, Foto: Bernd Gruber

“Es hilft uns kein Jugendeuropameister wenn es keinen in der Elite gibt”

Die Jugend-EM haben wir als Nachhaltigkeitsprojekt der WM präsentiert, es hat allerdings zwei Jahre gedauert, bis wir diese Idee durchgeboxt hatten. Jetzt sind wir bis 2017 fixer Veranstalter. Diese Veranstaltung ist sozusagen das Baby unseres Vereins und wir machen damit eine enorme Grundlagenleistung für die Jugendarbeit in Österreich. Aus dem heraus finde ich es sehr schmerzlich, dass es in Österreich bis zur U 15 eine tolle Grundlage gibt, um Erfolge zu erzielen, dass aber gleichzeitig im Elitebereich die Leistungen nachlassen. Es hilft uns kein Jugendeuropameister wenn es keinen in der Elite gibt.“

“Wenn du nicht mit Schmerzen leben kannst, hast du im Leistungssport nichts verloren”

RSS: „ Wo genau siehst du das Problem. Wo kann man ansetzen?“

JP: „Wir haben ein Problem, dass schon erkannt wurde und das ist die fehlende Struktur ab dem Juniorenalter. Dieses Problem zu beheben wird aber noch dauern. Unsere Kinder, Burschen sowie Mädchen, sind in den Jugendklassen ganz vorne dabei. Dann, ab den Junioren gibt es einfach keine Struktur.

Im Unterschied zur Schweiz fehlt es zum Beispiel an Teams. Vielleicht spielt in anderen Nationen auch das Thema Doping eine Rolle, das möchte ich jetzt nicht unangesprochen lassen, nur sind viele Österreicher so weit weg, dass auch Doping nicht als Ausrede gilt. Ein riesen Problem ist auch, dass viele Talente den Sprung vom spaßbetonten Jugendtraining, hin zum harten Training, das Schmerzen mit sich bringt, nicht schaffen. Wenn du nicht mit Schmerzen leben kannst hast du im Leistungssport nichts verloren. Training muss irgendwann wehtun. Ein weiterer negativer Faktor ist das mangelnde Interesse der Industrie. In Wahrheit wird unsere Radindustrie von Deutschland aus regiert und niemanden interessiert, was in Österreich passiert. Die heimischen Marken zeigen auch wenig Interesse. Leider geht in Österreich das Geld ins Schifahren und in den Fußball.

Jürgen Pail auf der 200km Strecke der Salzkammerguttrophy, Foto: Erwin Haiden
Jürgen Pail auf der 200km Strecke der Salzkammerguttrophy, Foto: Erwin Haiden

RSS: „Gibt es Schritte in die richtige Richtung?“

JP: „Ja durchaus. Mit dem Bundesleistungszentrum-Mounatinbike für Junioren und U23 soll das Problem mit dem Vereinsmangel überwunden werden. Ich denke auch dass es in Zukunft mehr Trainer geben wird. Zurzeit gibt es viel zu wenig echte Trainer für unseren Sport. Es wird zu wenig am Athleten gearbeitet. Es muss irgendwann in allen Bundehauptstädten Österreichs einen Trainingsstützpunkt für Mountainbiker geben. In Graz sind wir dabei, etwas Derartiges auf die Beine zu stellen. „

RSS: „Du hast vorhin die Schweiz angesprochen. Ohne Frage die zurzeit erfolgreichste MTB-Nation. Was machen die Eidgenossen besser oder auch nicht?“

JP: „In der Schweiz herrscht aktuell einfach ein unglaublicher Flow. Ausgelöst hat diesen unter anderem ein Thomas Frischknecht. Es braucht Persönlichkeiten die den Sport vermarkten und selbst mit anpacken. Wenn man alle olympischen Sportarten zusammen betrachtet, gibt es in der Schweiz auch nicht mehr Erfolge als in Österreich. Da sticht die Sportart Mountainbike einfach total heraus. Das größte Problem und was mich persönlich immer am Meisten schmerzt ist, dass uns einfach die eigenen Leute im Stich lassen. In anderen Nationen sind die Menschen einfach mehr Sport begeistert.

RSS: „Wie meinst du das?“

JP: „ Als Beispiel: Wir bemühen uns jedes Jahr die Weltklasse nach Stattegg zum Cross Country zu bringen und kein Mensch kommt auf die Idee, zuzusehen. Die Leute nehmen den Sport einfach nicht an. Auch die großen Medien versagen. Es gibt irgendwie eine Hemmung um über MTB-Sport zu berichten. Trotzdem liegt es an den eigenen Leuten. Auch in Deutschland kommt der Bikesport in den großen Medien so gut wie nie vor und dennoch pilgern tausende Zuseher zu den Bundesligarennen und zahlen Eintritt dafür. Anderes Beispiel: Eine Lisi Osl fährt als Gesamtweltcupsiegerin, als Kirchbergerin, in Kirchberg ein Rennen und außer der Rennszene die sowieso vor Ort ist, kommen vielleicht zehn Menschen mehr zusehen. Oder ein Alex Gehbauer kommt aus London von Olympia zurück und hat über alle Sportarten gesehen bestimmt die beste Leistung vollbracht. Dann fährt er das Rennen in Stattegg und niemanden interessiert es. Im Großraum Graz mit 400 000 Einwohner und sagen wir mal fünf Prozent Bikern kommt niemand zusehen. Das mit den Zusehern hat nur bei der WM 2009 halbwegs funktioniert, aber da war das Werbebudget auch enorm.“

“Der Fisch stinkt am Kopf und bei der UCI stinkt es gewaltig”

RSS: „Wie siehst du die generelle Situation im Mountainbikesport? Es gibt zum Beispiel keinen Eliminator mehr. Bist du zufrieden so wie sich der Sport zurzeit präsentiert?“

JP: „Nein. Der Fisch stinkt am Kopf und bei der UCI stinkt es gewaltig. Alles was die UCI angreift, auch wenn es vorher gut war, ist danach schlecht. Four Cross ist tot, der Eliminator ist tot. Disziplinen, mit denen man endlich an die Leute gekommen wäre, werden von inneren korrupten Leuten und diversen Teams, die die Macht besitzen, zerstört. Angefangen hat alles damit, dass man den Marathonweltcup versenkt hat.
Man kann schon fast glauben dass dahinter eine gesteuerte Aktion steckt, um den MTB-Sport nicht zu groß werden zu lassen. Der nächste Ermordete wird der Endurosport, der gerade so boomt, werden.

RSS: „Hast du Wünsche an die UCI?“

JP: „ Ja. Dass sie uns in Ruhe lassen sollen. Für eine Zusammenarbeit fehlt jegliche Basis.“

RSS: „ Du bist ja mitbeteiligt an der Vermarktung der österreichischen Rennserien. Wie gut funktionieren diese?“

JP: „ Diese sind eine einzige Baustelle. 2009 haben wir mit einem Teil des Marketingbudgets für die WM auch Marketing für den Youngsters-Cup und die anderen Rennserien gemacht. Seitdem hat sich meiner Meinung die Lage gebessert. Österreich war das erste Land mit einer eigenen Eliminator-Serie. Wir waren und sind wirklich bemüht beim Betreuen und Vermarkten der Rennserien, aber es ist nicht leicht. Der Nachwuchs-Euro funktioniert gut. Eine Euro jeder Teilnahmegebühr geht dabei an die Jugendförderung. Aber es ist noch viel zu tun. Es gibt als Beispiel für jede einzelne Rennserie noch einen Namensponsor zu vergeben.

RSS: „Wie stehst du zum aktuellen Boom des Endurosports?“

JP: „ Das stimmt mich positiv. Ich sehe alles positiv, was Leute zu unserem Sport bringt. Das Interesse der Bevölkerung besteht, nun ist der Tourismus gefordert, weil für die speziellen Strecken gesorgt werden muss und ich befürchte stark, dass es hier in nächster Zeit noch zu vielen Diskussionen kommen wird. Enduro heißt nicht auf Forststraßen zu fahren. Dafür braucht man viel mehr Trails in Österreich auf denen man auch fahren darf. Enduro ist einfach geil, das Fahrgefühl ist unbeschreiblich und es ist auch das perfekte Techniktraining. Nur hoffe ich, dass sich dadurch nicht zu viele Tallente vom olympischen Sport abwenden.”

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