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** “Entweder ich explodiere oder es geht gut” Andreas Seewald im Gespräch

** “Entweder ich explodiere oder es geht gut” Andreas Seewald im Gespräch

** “Entweder ich explodiere oder es geht gut” Andreas Seewald im Gespräch

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MTB-Marathon-Europameister Andreas Seewald im Interview

**PREMIUM CONTENT// Seit einigen Jahren ist der Bayer Andreas Seewald ein fixer Name in der MTB-Marathon-Szene. Erst seit heuer aber startet 29-Jährige als Profi für Canyon Northwave – und konnte auf Anhieb die Goldmedaille bei der EM im schweizerischen Evolène einfahren. Wir haben mit ihm über den Titel, seine Ziele, und das Leben abseits des Bikes gesprochen.  

Die erste Frage  ist für dich wohl keine Überraschung – dein Europameistertitel war es wahrscheinlich schon. Wie überrascht warst du wirklich?
Die Frage ist gar nicht so einfach. Insgesamt war ich schon überrascht, aber nach dem Sieg beim Hero Dolomites Anfang Juni war die Erwartungshaltung für die EM eine Woche später ziemlich hoch. Der Sieg beim Hero hat mich eigentlich mehr überrascht, vor allem dass ich dort schon am ersten Anstieg wegfahren konnte. Trotzdem konnte man nicht davon ausgehen, dass es bei der EM ein sicherer Sieg wird. 

Nimm uns ein bisschen mit in das EM-Rennen: Wie ist das für dich gelaufen?
Mein Plan war, wie beim Hero, am ersten Berg ein Tempo zu fahren, dass für mich gerade noch so erträglich ist. Das hat ziemlich gut funktioniert. Noch besser war, dass auch mein Teamkollege Martin Stošek mit dabei war. In den offiziellen Pressemitteilungen stand dann zwar, dass Samuele Porro am Anfang attackiert hat, aber in Wirklichkeit waren wir beide am ersten Berg dreißig Sekunden vorne. Er hat uns dann in der Abfahrt eingeholt. In der Abfahrt war ich recht nervös, obwohl sich die Beine super angefühlt haben. Ich hatte zwei kleine Stürze und habe eine Lücke auf Martin und Samuele bekommen. Im zweiten Anstieg waren die Beine nicht mehr ganz so super. Das war aber vielleicht auch eine Kopfsache. Wenn man einmal abgehängt ist, ist es immer schwer, wieder hinzukommen. 

Wie viel hat die auf die vorne gefehlt?
Nach der ersten Abfahrt war es schon eine Minute. Nach der zweiten Abfahrt etwa drei Minuten. Von hinten ist Fabian Rabensteiner gekommen und mit mir mitgefahren. Es war schwer, sich da zusammenzureißen und nicht zu verzweifeln. Der letzte Anstieg war sehr lang. Da konnte ich mich schnell von Fabian absetzen und auch mein Teamkollege Martin war in Sichtweite. Leider hatte er technische Probleme. Als ich an ihm vorbeigefahren bin hat er mir noch nachgerufen, dass Samuele drei Minuten Vorsprung hat. Ich weiß: Wenn du bei einem wichtigen Rennen vorne bist kannst du noch einmal mehr Kräfte mobilisieren, mir war also klar, ich muss voll riskieren: Entweder ich explodiere komplett oder es geht gut. Und es ging sogar sehr gut. Ich habe ihn schnell eingeholt und nach nicht mal einer Minute an seinem Hinterrad drüber attackiert. Als ich am letzten Anstieg hörte, dass ich fünf Minuten Vorsprung habe war ich schon sehr erleichtert und habe darauf geachtet, nur nicht mehr zu stürzen.   

Du bist seit einigen Jahren meist auf den vorderen Plätzen bei den Rennen der Worldserie, hast aber heuer scheinbar noch einmal einen Sprung gemacht… Wie erklärst du dir das?
Ich habe mit Björn Kafka schon seit sechs Jahren denselben Trainer. Das Trainingsprinzip hat sich also nicht verändert. Aber dadurch, dass ich seit heuer in einem Profiteam fahre und seit vorletztem Jahr bei der Bundeswehr bin habe ich viel mehr Zeit, vor allem für die Regeneration und die Trainingslager. Es fallen auch viel weniger Trainingseinheiten aus, wenn man quasi nichts anderes mehr zu tun hat. 

Du bist ja eigentlich auch Bergläufer. Bleibt dafür überhaupt noch Zeit?
Im Herbst und im Winter bis ins Frühjahr hinein gehe ich schon noch viel Berglaufen. Jetzt im Sommer aber ist das sehr stark reduziert. Ich habe es zwar vor, immer wieder mal einen Lauf einzubauen, aber das Radtraining ist doch sehr viel und intensiv. 

Wie trainierst du eigentlich? Wie schauen deine Lieblingseinheiten aus?
Das kommt ganz darauf an, wo ich gerade bin. Im Trainingslager in Livigno fahre ich am liebsten große Runden, möglichst nur im Gelände, die Anstiege im Fahrtspiel-Tempo oder im Bereich der maximalen Fettverbrennung. Da geht’s auch darum, möglichst viel Zeit hoch oben zu verbringen und Freude am Trailfahren zu haben. Das klassische Training zuhause besteht dann vielmehr aus gezielten Intervallen, auch im Flachen. Wir fahren gerne 20 oder 30 Minuten oder auch mal eine Stunde Intervalle im maximalen Fettstoffwechselbereich. Aber eine richtige Lieblingseinheit habe ich nicht. Wir trainieren auch viel nach dem Blocktrainingsprinzip: Ein, zwei, drei Wochen lang vermehrt die gleiche Art von Training, und immer wenn’s dann nach der zweiten Woche Spaß macht und man richtig drin ist und alles easy geht – dann wird gewechselt (lacht). 

Trainierst du auch am Rennrad?
Heuer fast gar nicht. Unser Hardtail (das Canyon Exceed, Anm. d. Red.) fühlt sich fast an wie ein Rennrad, so steif ist es. Außerdem halte ich viel davon, sich an eine Position am Rad zu gewöhnen und das Training am gleichen Rad und in einem ähnlichen Gelände zu fahren wie das Rennen. Da geht’s auch darum, die Intervalle nicht immer in einem gleichmäßigen Terrain zu fahren, damit man sich zwingen muss, wenn es flach wird oder um Kurven geht, die Werte zu halten. 

Du bist seit heuer Profi bei Canyon Northwave. Wie hat sich dadurch dein Alltag verändert? 
Wir sind sehr viel bei Rennen unterwegs. Es ist fast schon ein Luxus, einfach mal eine normale Tour zu fahren. Man ist aber mehr motiviert, weil man weiß, man bekommt viel Unterstützung und will das dem Team auch zurückgeben in Form von guten Ergebnissen. Früher war das mehr ein Auf und Ab. Jetzt ist es Normalität, dass das Training im Mittelpunkt des Alltags steht. 

Abgesehen davon, dass es dein Beruf ist: Was bedeutet das Biken für dich?
Angefangen hat es mit einem Blick in die Landkarte und der Überlegung: Wo könnte ich hinkommen? Was ist möglich innerhalb von fünf Stunden? Wo gibt es einen interessanten Trail? Wo gibt es was Neues zu entdecken? So habe ich zum Radfahren angefangen, und so habe ich mir auch die Rennen ausgesucht. Immer möglichst verschiedene Rennen, immer möglichst lange Strecken

Wie bist du eigentlich zum Biken gekommen?
Ich bin eigentlich immer schon gefahren. Erst war ich im Skiclub, da waren wir im Sommer schon immer Mountainbiken. Mit 16 habe ich aufgehört Ski zu fahren. Erst mit 19 habe ich mir dann wieder ein Bike zugelegt und war wieder mehr unterwegs. Mit 20 bin ich dann den Marathon am Tegernsee mitgefahren. Natürlich habe ich mich gleich für die längste Strecke gemeldet – und da ist in der U23 fast keiner gestartet. Ich hab dann gleich die Wertung gewonnen und mir gedacht: Super, liegt mir wohl voll. Dann hat es aber doch noch ein paar Jahre gedauert, bis ich bei größeren Rennen gestartet bin. 

Was machst du, wenn du nicht am Rad sitzt?
In letzter Zeit ist das Training und der Sport schon sehr programmfüllend. Zwischen 16 und 19 war ich ziemlich an Computern und Elektronik interessiert, habe auch bei Siemens eine Ausbildung als Automatisierungstechniker gemacht. Aber dieses Herumbasteln mache ich eigentlich kaum mehr. Wenn man da in der Werkstatt herumsteht ist das ja auch schlecht für die Beine (lacht). 

Welches ist das schönste Rennen, bei dem du bis jetzt am Start warst?Keine einfache Frage. Am meisten überwältigt hat mich wahrscheinlich 2018 das Grand Raid in der Schweiz. Ich hatte es da schon zum dritten Mal probiert und hatte bei den ersten beidem Malen extrem viel Pech mit Platten und so weiter. Beim dritten Mal hat’s dann geklappt. Mein Bruder ist da auch gefahren, zwei Kumpels haben die Betreuung gemacht und ein paar Bekannte von Schweizer Teams. Wir sind ohne richtigen Plan hin, haben erst vor Ort herumgefragt, wie wir es hinbekommen, dass bei jeder Feed Zone jemand mit einer Flasche steht. Laufräder hatten wir auch nur an zwei Stellen auf der ganzen Strecke – aber zum Glück gab es an dem Tag keinen einzigen Defekt. Von der Wertigkeit oder der Leistung her wiegt der EM-Titel oder der Hero Dolomites sicher noch mehr, aber die coolste Geschichte war jedenfalls das Grand Raid. 

Zum Abschluss ein Ausblick: Welche Ziele hast du noch für deine Karriere?
Ganz direkt natürlich: Weltmeister werden. Aber das Ziel haben einige. Ich denke, es ist möglich, wenn die Strecke passt: möglichst in der Höhe, möglichst viele Höhenmeter. Dann habe ich vielleicht schon eine Chance. Die Strecke heuer auf Elba wird zwar schwierig und lange, habe ich gehört, ist aber nicht unbedingt mein Profil. Ich will auch mal ein Cape Epic fahren oder alle Klassiker auf der Welt. Da gibt es einige Rennen, die mich noch sehr interessieren.

Interview: Michael Windisch
Fotos (c) Michele Mondini

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