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**Kann denn Doping Sünde sein?

**Kann denn Doping Sünde sein?

**Kann denn Doping Sünde sein?

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**PREMIUM CONTENT// Viel ist von Dopingsündern die Rede. Aber ist der ursprünglich theologische Begriff “Sünde” wirklich passend für eine so weltliche Angelegenheit wie ein Dopingvergehen? Wir haben mit dem Philosophen und Rennradfahrer Konrad Paul Liessmann über ethische Aspekte des Willens zum Sieg um jeden Preis gesprochen.

Text: Michael Windisch

Beginn bei Adam und Eva

Es mag vielleicht weit hergeholt klingen, beim Thema Doping zunächst einmal die Bibel zu Rate zu ziehen. Dabei findet sich hier, ganz am Anfang, genau das: Doping. Eine Substanz, die auf ein neues Level hebt; die verboten ist, aber dadurch umso mehr Reiz auf die Menschen ausübt. “Ihr werdet sein wie Gott”, versucht die Schlange Adam und Eva dazu zu
überreden, die Frucht vom “Baum der Erkenntnis” zu essen. Die beiden tun es – aber statt der Gottgleichheit kommt der Fall, die Verstoßung aus dem Paradies. “Ursünde” nennen das die Theologen, und ob man nun dran glaubt oder nicht, die Geschichte von Adam und Eva ist bis heute ein Urmythos der Menschheit. Und die Parallelen zum Dopingsünder des 21.
Jahrhunderts, der um des Sieges und des Ruhmes willen zu unerlaubten Mitteln greift, sind unübersehbar.

“Damit wir nicht werden wie Gott, hat dieser die sündigen Menschen mit der Sterblichkeit bestraft. Und seitdem jagen wir der Unsterblichkeit nach. Ruhm und physische Optimierung sollen ja einen Zipfel der Unsterblichkeit erhaschen lassen”, analysiert der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann im Gespräch mit RAD.SPORT.SZENE die Verbindung des Mythos der Ursünde mit dem gedopten Rennsieger. “Der dopende Sportler versündigt sich einerseits an dem Gebot der Fairness – denn nach den geltenden Regeln handelt es sich um Betrug – und am Publikum, dem eine Leistung vorgeführt wird, die anders zustande kam als angegeben. Damit verliert der Kern des Sports, der Wettkampf, seinen Sinn.”

Die Fiktion Fairness

Dass der gewinnt, der denbesseren Chemiker an seiner Seite hat, verstößt gegen die Fiktion der Fairness.”

Liessmann ist in der Thematik nicht nur am Schreibtisch beheimatet. Er fährt selbst Rennrad, spult im Wiener Wald tausende Kilometer pro Jahr ab. Und macht sich dabei eben auch Gedanken über die ethische Dimension des Sports. Und des Dopens. Auch wenn er gesteht, dass ihn die zahlreichen Vorfälle – gerade in Österreich – etwas haben abstumpfen
lassen: “Da ich mit dem Rennrad nur zu meinem kontemplativen Vergnügen und weder in einer Gruppe noch wettkampfmäßig fahre, ist mir persönlich das ziemlich egal.” Im Fernsehen verfolgt er daher keine Rennen mehr. Gleichgültig ist ihm die Sache freilich nicht. Zu stark ist der Sport mit Vorstellungen von Gerechtigkeit aufgeladen, die sich in der Realität so nie umsetzen lassen. Liessmann spricht daher von einer Fiktion: “Dass Doping im Sport immer aufregt liegt daran, dass wir gerne an der Fiktion der Fairness und der Chancengleichheit – gerade im Sport – festhalten wollen. Dass der gewinnt, der denbesseren Chemiker an seiner Seite hat, verstößt gegen diese Fiktion.”

Daher ist der mediale und öffentliche Aufschrei beim Aufkommen von Dopingfällen immer wieder besonders groß; größer jedenfalls als in anderen Lebensbereichen, in denen wir betrogen werden. Zum
Beispiel im Beruf, wo es fast schon zum guten Ton gehört, am Karriereweg auch mal über Leichen zu gehen.

“Der dopende Sportler will nicht, dass alle dopen”

Der radfahrende Philosoph Liessmann ist ein rarer Vertreter seiner Zunft. “Philosophen waren und sind nicht wirklich sportaffin”, gibt der gebürtige Villacher zu. Auch ist der Sport, der in seiner heutigen Form erst seit dem 19. Jahrhundert existiert, für die jahrtausendealte Disziplin ein recht junges Phänomen. Dementsprechend haben sich wenige Philosophen in der Geschichte Gedanken über das Thema gemacht. Und was sie vom Dopen gehalten hätten lässt sich nur erahnen. Der deutsche Denker Friedrich Nietzsche (1844-1900) hätte mit dem Gedanken der Leistungssteigerung mit allen Mitteln wohl durchaus etwas anzufangen gewusst. Für ihn war alles in der Welt mit einem unbändigen Willen zur Macht, also zur Steigerung der eigenen Kraft, erfüllt. In den 1940ern sahen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der wissenschaftlichen Manipulierbarkeit und Optimierbarkeit des
Menschen hingegen eine der großen Gefahren der Neuzeit. Für eine moralische Bewertung des Themas Doping schlägt Philosoph Liessmann Immanuel Kants (1724-1804) “Kategorischen Imperativ” vor: Demzufolge darf ich nur das tun, von dem ich auch will, dass es zum Vorbild für andere werden kann. “Die Regel, nach der ich handele, soll auch für alle anderen gelten. Der dopende Sportler will ja gerade nicht, dass alle dopen, sonst wäre sein Vorteil ja dahin.”

Gefallene Engel und Übermenschen

Aber wie ist das mit der so tief ersehnten Gottgleichheit, dem Streben des Menschen nach ewigem Ruhm, ja vielleicht sogar Unsterblichkeit? Der Grat ist schmal: Lance Armstrong wurde in den frühen 2000ern gefeiert und geehrt; seine sieben – aberkannten – Siege bei der Tour de France bleiben wohl für immer unerreicht. Mit seiner Biographie als Besieger
des Krebs und Dominator am Rennrad strickte er selbst an seinem Mythos. Umso tiefer dann aber der Sturz nach seinem Dopinggeständnis.

Alles scheint verloren, in die Geschichte wird er nur als Betrüger eingehen, als gefallener Engel. Während für uns heute noch klar ist, dass auch Doper endlich sind, arbeiten nicht wenige Experten daran, einen wirklich “unsterblichen” Menschen, einen “Übermenschen” zu züchten. “Transhumanismus” nennen sie ihr Langzeitprojekt, bei dem der Mensch, wie wir ihn bisher kannten, überwunden werden soll, unter anderem durch den Einsatz von Gentechnik oder besonderer Prothesen.

Ermöglicht das in Zukunft eine neue Form des Dopings in einer Dimension, die wir uns noch gar nicht vorstellen können? Liessmann versucht zu relativieren. “Noch ist der Transhumanismus eine Spekulation. Sollte es wirklich möglich sein, Supersportler zu züchten, dann werden diese natürlich nicht mehr gegen normale Menschen antreten, und es wird dann weniger ein Wettkampf der Menschen, sondern von Wissenschaftlern, Technikern und Ingenieuren sein, die diese Sportler gezüchtet und manipuliert haben.” Und in einem Nachsatz meint Liessmann: “Ob solche
Spiele Freude machen, bleibe einmal dahingestellt.”

Bild: People photo created by freepik – www.freepik.com

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