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Reisebericht // Lombardia – Offseason aus der anderen Perspektive

Reisebericht // Lombardia – Offseason aus der anderen Perspektive

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Reisebericht // Lombardia – Offseason aus der anderen Perspektive

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Oktober ist, sein letztes Saisonrennen hat er hinter sich, Monate der Entbehrung sind vorüber – ich musste hauptsächlich ihn entbehren. Off-Season-Badeurlaub haben wir ausprobiert, das war ihm dann doch zu viel des Nichtstuns. Wanderurlaub war auch nicht wirklich die Lösung, zu sehr nimmt er die Gegend durch die MTB-Augen war, sucht die beste Linie am Wanderweg und will noch dort und dort und dort auch noch hinauf. Nun, womit fange ich ihn, womit hole ich ihn runter, Puls 2-stellig hab ich mit seinem Trainer listigerweise schon ausgemacht. Ein wenig Radfahren, für mich eh mehr als genug, sollte schon dabei sein.

Essen, viel Essen, viel gut Essen, viel gut von dem Essen, das während der Saison nicht viel gegessen werden kann. Dazu guten Wein trinken, ausgedehntes Stadtbummeln ohne Angst vor müden Beinen. Ausschlafen statt nach dem Training schlafen.

Durch Zufall stoße ich auf die Lombardei, nein, nicht wegen des Gardasees – sprich den Trails am Gardasee, auch nicht wegen Livigno und Stelvio, wohin er immer schon mal auf Höhentrainingslager wollte, – nein, auch nicht wegen der Mailand Fashion Week, wobei ein bisserl schon. Der Hinflug gestaltet sich entspannt, er schafft es mit Handgepäck; kein eigenes Rad und daher kein Radkoffer, war ihm ja irgendwie klar. Aber nachdem ich den Helm und die Radschuhe und die Baggy und das Minitool wieder auspackt habe, ist sogar im Handgepäck noch viel Platz. Nein, nicht mit T-Shirts und Hemden auffüllen, den Platz brauchen wir beim Heimfliegen.

Der Flug entlang des Alpenhauptkamms, wolkenlos, er am Fensterplatz, wo er schön runtersieht auf all die Bergstraßen und Pässe, die er schon mit dem Rennrad gefahren ist, Nockalmstraße, Glocknerstraße, die Sella Ronda zum Greifen nahe, …. .

Als er dann aber zur anderen Seite rüber will, weil er dort im Sinkflug nach Mailand am Brentamassiv einen Trail zu erkennen glaubt, bestell ich ihm Rotwein und wünsch mir still das Anschnallzeichen.

Am Flughafen Mailand nehme ich ihn sanft an der Hand – nein, wir müssen nicht zum Großgepäckschalter – wir fahren entspannt mit dem Zug ins Stadtzentrum, quartieren uns im Best Western Hotel Galles ein. Vor dem Hotel gibt es brauchbare Stadtmieträder –  Stadtbesichtigung mit Fahrrad ist recht gechillt, Mailand zum Glück sehr flach.

Wir sparen uns lange Anstellschlangen, fahren dafür mehrmals rund um den Dom, cruisen durch die Einkaufsstraßen und zum Castello Sforzesco, vorbei an den unzähligen Sehenswürdigkeiten, wir saugen die Stadt in uns auf –  es macht richtig, richtig Spaß, mir und auch ihm. Eis, Espresso und Tiramisu – zum Glück haben wir die Räder, denn gehen wäre nun schon anstrengend. Abendessen nehmen wir im Hotelrestaurant im obersten Stockwerk ein, trinken den ausgezeichneten Rotwein auf der Dachterrasse fertig und fahren danach, die U-Bahn glücklicherweise vor der Tür, nochmal zu ausgesuchten Plätzen. Dom und Galleria Vittorio Emanuele muss man unbedingt auch in der Nacht gesehen haben, mehr Menschen noch fast als am Tag, laut feiernd, trotzdem entspannt, wir auch, beide.  Nächster Tag etwas shoppen im Paradies und dafür auch zu Tre Torri, zum Velodromo Maspes-Vigorelli, einer teilüberdachten 397,27m Freiluftbahn und ins Stadio San Siro. Am Abend beide müde, beide glücklich.

 

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Nach 2 Tagen Stadt fahren wir in den Norden, Richtung Berge, Richtung Seen. Wir nehmen entspannt den Zug nach Lecco am Lago di Como. Bei der Zugfahrt werden uns auch die Ausmaße des Großraums Mailand bewusst. Die Stadt selbst mit 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Italiens, die Metropolregion mit etwa der Einwohnerzahl Österreichs der größte italienische Ballungsraum.

Angekommen in Lecco merken wir davon schon gar nicht mehr viel. Es ist Nachmittag geworden, wir schlendern noch die Seepromenade entlang, hinter der Stadt ragen hohe Felsen in den Himmel, getaucht in rötliches Abendlicht, vor uns der See, bereits im tiefen Schatten der Berge am anderen Seeufer. Vor dem Hoteleingang steht der Kleinbus eines Radteams, zwei gutaussehende Typen in stylischem Radtrikot, sich verabschiedend von einer Gruppe Hotelgästen. Beim Zusammenpacken der Bikes und Einräumen des Busses kommen wir mit ihnen ins Gespräch. Es sind Amadeo und Luca, Guides von Fly-Cycling-Holidays, ehemalige Straßenprofis aus der Region, die nun mit eigenem kleinen, feinen Fahrradladen und zur Finanzierung des U23-Teams die unterschiedlichsten Radtouren in der Region anbieten, Räder vermieten, guiden, shutteln.

Sie machen uns, mir, die Adda-Tour schmackhaft, entspannt entlang des kleinen Flusses, in dessen tief eingeschnittenem Flusstal vom Comersee Richtung Mailand. Das Wetter verheißt gut zu werden, Amadeo hat Zeit und wir buchen spontan für nächsten Tag. Wir sollen uns den ganzen Tag Zeit nehmen – mein Schatz strahlt, mir schläft das Gesicht ein – Amadeo lacht und meint, wir werden nicht nur am Rad sitzen, auch auf einer Terrasse, am Wasser, gut essen, die Herbstsonne genießen – mein Gesicht entspannt sich wieder.

Wir checken noch die Radgrößen, Einstellungen, Helme und Brillen und mein Schatz fragt nach SPD-Pedalen. Alles kein Problem meint Amadeo, er tauscht noch bis morgen. Ich schau etwas fragend, mein Schatz lächelt spitzbübisch, hebt seine neuen Wanderschuhe, zeigt mir die Sohle, mit Cleats dran.

Er habe ja doch irgendwie, naja, vielleicht auf eine kleinere Tour gehofft und für die Transalp würden‘s ja auch gleich gut passen.  Ich kann ihm nicht ganz folgen, versteh aber jetzt warum es bei der Flughafenkontrolle so gepiepst hat.

Amadeo holt uns um 09.00 vom Hotel ab, stellt uns zuerst noch Marco vor, den Gründer und Teamchef des „Fly Cycling Teams“. Er bringt uns mit dem Teambus ein paar Dörfer flussabwärts. Die ersten paar Kilometer seien sonst entlang der Straße, es ist viel Verkehr und er wäre ohnehin am Weg zum Giro di Lombardia. Er werde uns auch wieder abholen. Wo, sollen wir unterwegs entscheiden.

Vom Parkplatz geht’s durch enge Gassen steil bergab, altes Gemäuer, Torbögen, alte Gärten – eigentlich sollte ich ja auf den Weg blicken und schon sind wir unten beim Fluss auf einem glatten, sandigen Spazierweg und nichts ist mehr zu hören von der Hektik der Straße, nur noch der Fluss und wir. Gelegentlich Angler, kaum andere Radfahrer, selten Spaziergänger – am Nachmittag wird etwas mehr los sein, aber nicht viel, bereitet uns Amadeo vor. Der Weg ist abwechslungsreich, kleine Stauwerke und Elektrizitätswerke aus der Jahrhundertwende, eine alte Fähre und immer wieder irgendwo ein Hinweis auf Leonardo Da Vinci. Hoch über uns eine alte, elegante Eisenbrücke, die höchste ihrer Art in Europa erklärt Amadeo. Sie erinnert mich komischerweise ein wenig an den Eiffelturm, gar nicht so verkehrt, wie ich später lese, ist sie doch aus der selben Zeit und mit gleicher Technologie erbaut.

Wir erreichen Vaprio d’Adda und Amadeo zeigt ans andere Flussufer. Eine gemütliche Terrasse, das Personal eben mit Tisch decken beschäftigt, dort werden wir Essen, später, wenn auch die Sonne angekommen ist. Davor fahren wir noch ein Stück, einen alten Kanal entlang, der hier von der Adda abbiegt Richtung Mailand. Wir bekommen etwas Geschichtsunterricht, früher war die ganze Gegend von solchen Kanälen durchzogen, der Gütertransport nach Mailand sei darauf erfolgt, dieser hier sei einer der letzten erhalten gebliebenen.

Das Mittagessen ist ausgezeichnet, wir nehmen uns Zeit, Amadeo auch und erzählt aus seiner Radprofizeit, von der Gegend, von Marco Fontana, der hier in der Nähe wohnt und trainiert.

Amadeo erzählt auch vom „Giro di Lombardia“ der heute hier stattfindet, von der langen Geschichte dieses Rennens, vom Hoffen auf einen italienischen Sieg. Er zeigt uns am Handy aktuelle Bilder und kurze Videos, die ihm Marco seit 3 Stunden schickt. Engste, steile Bergstraßen, begeisterte, laute Fans, atemberaubende Stimmung. Nächstes Jahr sollen wir wieder kommen, da möchte er mit einigen Leuten das Rennen besuchen, ihnen die besten Zuschauerplätze zeigen und die Begeisterung der italienischen Radsportfans nahebringen. Man könne gerne in kleiner Gruppe mit ihm die besten Streckenabschnitte am Tag davor abfahren, Rennräder bei ihm leihen.

 

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Am Tag danach fände ein Gran Fondo auf einem Teil der Strecke statt, wir werden es nach unserer Rückkehr ins Hotel an den Gästen merken. Wir merken es, wir merken es auch beim Frühstück, merken wie es wirkt, wie Menschen in Socken, mit herunterhängenden Radhosenträgern und offenem Trikot beim Frühstücksbuffet auf normale Hotelgäste wirken – für mich nichts Neues, für meinen Liebsten ein interessanter Perspektivenwechsel.

Wir entscheiden uns, also ich entscheide, den Weg auch wieder zurückzufahren, bisher war es nicht anstrengend für mich und auch wenn es nun leicht bergauf geht, es wird kein Problem werden. Falls doch, egal, dann holt uns Marco mit dem Shuttlebus eben schon früher ab. Und ich bereue keinen Meter. So beschaulich der Fluss am Vormittag war, so sehr hat sich das Tal nun mit Leben gefüllt, Spaziergänger, Radausflügler, unzählige Boote, Familienpicknicks und alles in herbstlicher Nachmittagssonne, statt leichtem Morgendunst über dem Wasser nun leuchtende Herbstfarben in allen Schattierungen.

Bei einer der Pausen, die wir einlegen, nicht so sehr zum Rasten, sondern zum in die Gegend schauen und zum Schauen auf die Nachrichten, die auf Amadeos Handy einlangen, gibt es Jubel. Er hat es geschafft, er hat die Attacke ins Ziel gebracht, Vincenzo Nibali hat das Rennen gewonnen.

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Wir bleiben noch ein paar Tage, verbringen einen Tag im Mietauto, den Lago di Como umrundend, fahren mit der Fähre nach Como und genießen von der Seemitte die Aussicht auf die umliegenden Berge, machen tags darauf eine Paddelbootfahrt um die Spitze von Bellagio. Das viele gut Essen und Trinken, immer wieder heißt es „local products“, macht uns neugierig, wir wollen schauen wo all das gute Essen und Trinken herkommt. Das Hotelpersonal empfiehlt uns eine geführte Wanderung mit Besuchen bei kleinen Familienbetrieben mit köstlichen Spezialitäten und drückt uns den Folder von „Lake Como Food Tours“ in die Hand. Wir würden es nicht bereuen, keinesfalls. Wir taten es auch nicht! Und so wie man am Abend mit schmerzenden Beinen im Bett liegen kann und trotzdem glücklich und zufrieden auf eine heftige MTB-Tour zurückblickt, so ging es uns beiden, gemeinsam mit unseren Bäuchen, sehr vollen Bäuchen und vollen Köpfen, gefüllt mit neuen Eindrücken und Erlebnissen.

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